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Aktuelle Forschungen Detail

Grabungskampapgne in Carissa

Carissa Aurelia, eine ibero-römische Höhensiedlung der Turdetani im südlichen Andalusien, war vom 15.9. bis 30.10.2024 Ziel einer ersten Ausgrabungs- und Survey-Kampagne. Zweck dieses von der Fritz Thyssen Stiftung geförderten Projekts ist die Untersuchung der Struktur und langfristigen Entwicklung Carissas und seines Hinterlands und damit der wichtigsten antiken Siedlung des mittleren Guadalete-Tals. Das Projekt findet im Rahmen einer trinationalen Kooperation der Universitäten Sevilla, Groningen, Kiel und Köln statt und wird von den Gemeinden Bornos und Espera sowie dem Archäologischen Museum von Espera großzügig unterstützt.

Im Rahmen dieser ersten Kampagne fanden innerhalb des Stadtgebiets gezielte Ausgrabungen, geophysikalische Prospektionen, ein Intensiv-Survey sowie die systematische Entnahme von Bodenproben für spätere geochemische Analysen statt. Schwerpunkt der Arbeiten war die Durchführung von drei stratigraphischen Sondagen, die auf den Ergebnissen einer vorbereitenden geophysikalischen Prospektion ansetzen konnten. Um ein möglichst breites Spektrum an Informationen zu gewinnen, wurde mit dem Forum ein öffentlicher Bau (So. 1), ferner ein Wohnkontext (So. 2) sowie eine Straßenkreuzung (So. 3) gewählt.

Das Forum der Stadt wurde auf einer großen künstlichen Terrasse untermittelbar unterhalb der Akropolis mittels großer Substruktionen angelegt. Mit So. 1 sollte die Nordwestecke erfasst werden. Es zeigte sich allerdings, dass eine intensive mittelalterliche Nutzung der Almohadenzeit zu einer weitgehenden Spoliation der römischen Baustrukturen geführt hat, so dass an der gewählten Stelle nur noch die bauvorbereitenden Planierungsschichten der frühen römischen Kaiserzeit erfasst werden konnten. Immerhin konnte nachgewiesen werden, dass im 10.-12. Jh. offenbar nicht nur ein Beobachtungsturm auf der Bergspitze bestand, sondern eine regelrechte Siedlung, die auch die römische Forumsterrasse genutzt hat.

Aussagekräftiger in Bezug auf die antike Siedlungsgeschichte waren Sondage 2 und 3. In ersterer wurden zwei Räume eines wahrscheinlichen Wohnhauses mit zahlreichen Nutzungsphasen vom 2./1. Jh.v.Chr. bis zum 2. Jh.n.Chr. erfasst. Nach einer Zäsur in der Spätantike wurden seine Mauern nochmals im hohen Mittelalter genutzt. Unter den Gebäudestrukturen fanden sich Nutzungshorizonte und Felsabarbeitungen einer vorrömischen Besiedlungsphase. Überraschend war dabei der hohe Anteil eisenzeitlicher Keramik vom 7. bis 3. Jh.v.Chr. mit zahlreichen punischen Importen oder lokalen Imitaten punischer Waren. Sie belegen einen intensiven Kontakt des turdetanischen Carissas mit den Puniern, der sich vermutlich vor allem über Gades (Cadiz) an der Mündung des Guadalete vollzog.

Besonders beeindruckend waren die Ergebnisse der Straßenkreuzung im Bereich der Unterstadt (So. 3). Es wurde eine vollständig erhaltene Pflasterung, bestehend aus ungewöhnlich großen Steinplatten (Dm bis 1,5 m), angetroffen. Entsprechend der vorläufigen Keramikauswertung entstand sie im 1. oder frühen 2. Jh. Eine lokale Abtiefung erbrachte mehrere frühere Nutzungshorizonte der Straße, von denen der älteste in die vorrömische Zeit (6.-3. Jh.v.Chr.) zurückreicht und ebenfalls einen erstaunlich hohen Anteil importierter punischer Waren enthält. Nach der römischen Eroberung wurde die Straße zwischen 50 v. und 50 n.Chr. erneuert und es entstand in der Südostecke ein Gebäude mit mächtigen Mauern aus opus quadratum. Erstaunlich war auch hier das weitgehende Fehlen spätantiker Evidenzen.

Im Anschluss an die Grabungskampagne wurde ein erster systematischer Survey im Umland der Stadt durchgeführt. Im Fokus standen vor allem die Berghänge nördlich und nordöstlich Carissas sowie Gebiete im Guadalate-Tal. Während des Surveys wurden die landwirtschaftlichen Felder systematisch im Abstand von 10 m begangen und die Artefaktdichten erfasst. Orte mit erhöhter Fundkonzentration wurden später nochmals mit einem Intensiv-Survey in Rastereinheiten von 10 x 10 m untersucht. Insgesamt konnte eine Fläche von 4 qkm untersucht werden, wobei sich Nekropolenbereiche im Norden des Stadtgebiets sowie landwirtschaftlich genutzte Flächen mit Farmen und Villen im Osten nachweisen ließen.

Insgesamt erwiesen sich somit die 2024 durchgeführten Arbeiten als sehr erfolgreich. Sie liefern wichtige Bausteine zur Rekonstruktion der langfristigen Siedlungsgeschichte dieses Abschnitts des Guadalete-Tals. Unerwartet war dabei die Intensität der frühen vorrömischen Siedlungsphasen sowie das weitgehende Fehlen spätantiker Befunde. Beide Phänomene müssen in den kommenden Kampagnen genauer untersucht werden.

 

Verantwortliche: M. Heinzelmann (Köln), J. Beltran Fortes (Sevilla), D. Romero Vera (Sevilla), T. de Haas (Groningen), J. Lehmann (Kiel)

Teilnehmende Grabungskampagne: L. R. Tovar Acedo, D. Romero Vera, M. Heinzelmann, J. Lehmann (Leitung), C. Avenarius (Koordination), A. Maurer, M. Schepers (Archäobotanik Groningen), M. Berger, D. Schnalke, L. Vornweg (Schnittleitung), V. Bethke, P. Dücker, F. Franke, P. Gámez Campos, P. Gordillo Capilla, J. Gülpen, H. Huisman, S. Kinsey, J. Mišek, P. Naumann, Z. Rodríguez Gómez, J. M. Romero Aravena, G. Sanzo Olmedo, P. Witt, F. Zeiger, D. Heinzelmann (Bauaufnahme)

Teilnehmende Surveykampagne: T. de Haas, D. Romero Vera (Leitung), J. Huisman, F. Menéndez-Marsh, M. Parini, M. Peters, C. Avenarius, F. Franke, D. Luján Perez, F. Nitschke, J. M. Romero Aravena, L. Sánchez Rias, J. C. Vargas Parrondo

Kooperationen: Universidad de Sevilla, Rijksuniversiteit Groningen, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Junta de Andalucía, Ayuntamiento de Bornos, Ayuntamiento de Espera, Museo Arqueológico de Espera

Finanzierung: Fritz Thyssen Stiftung